Unsere Gesellschaft und Wirtschaft sind in kritischer Weise von einer Vielzahl digitaler Infrastrukturen abhängig geworden. Wir sind auf die ständige Verfügbarkeit von Konnektivität und das korrekte Funktionieren unzähliger Technologien und Dienste angewiesen, die wir nicht mehr direkt kontrollieren.
Dazu gehören insbesondere Hard- und Softwarelösungen, welche für die zunehmende Digitalisierung von Geschäftsprozessen unerlässlich sind und die eine zentrale und kritische Komponente darstellen. Der Anbietermarkt erscheint auf den ersten Blick äusserst divers und hinsichtlich der Lösungsvielfalt breit gefächert. Betrachtet man jedoch die Herkunftsländer der Anbieter, so ist diese scheinbare Vielfalt deutlich weniger ausgeprägt.
Ohne Hard- und Softwarelösungen von grossen internationalen Unternehmen kann die Digitalisierung von Prozessen, wie wir sie heute kennen, nicht stattfinden. Die geographische Konzentration der Produktionsstandorte in einigen wenigen, teilweise undemokratischen Ländern führt jedoch auch dazu, dass ausländische Firmen bzw. Staaten theoretisch vereinfachten Zugang zu den Systemen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT bzw. ICT) der heimischen Hersteller und Dienstleister haben. Die ausländischen Firmen bzw. Staaten können so grundsätzlich auf gespeicherte, verarbeitete oder gelieferte Informationen zugreifen.
In mehreren Ländern, darunter auch in der Schweiz, findet eine allgemeine Diskussion darüber statt, wie man die diversen Abhängigkeiten reduzieren und eine Art unabhängige einheimische Industrie und mögliche Alternativen schaffen kann. «Cyber-Souveränität» ist hier das Schlagwort. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass u.a. die Beschaffung von beispielsweise Seltenen Erden und spezifischen Materialien zur Produktion von Computerchips eine grosse Herausforderung sein wird, da diese Materialien in der Schweiz nicht natürlich vorkommen.
Ein anschauliches Beispiel von Abhängigkeit mit weltweiten Auswirkungen war der Ausfall der IT-Systeme aufgrund eines fehlerhaften Updates der US-amerikanischen Cybersecurity Firma Crowdstrike im Juli 2024. Windows-Geräte, auf denen Crowdstrike zur Abwehr von Hackerangriffen eingesetzt wurde, waren vom Vorfall betroffen, da das fehlerhafte Update einen Systemausfall bewirkte. Die Auswirkungen waren gigantisch, und tangierten insbesondere Unternehmen, Banken, Notrufzentralen und Fluggesellschaften.
Die zunehmende Abhängigkeit innerhalb und zwischen den Infrastrukturen führt mit fortschreitender Digitalisierung zu kritischen Bedrohungen, die im Sinne des Risikomanagements lediglich «gemanagt» und nur begrenzt beeinflusst werden können. Zudem ist es mehr als fraglich, ob der Industriestandort Schweiz in naher Zukunft Alternativen zu den vorherrschenden Hard- und Softwarelösungen ausländischer Anbieter entwickeln kann. Selbst eine koordinierte Industriepolitik in diesem für die Schweiz ungewohnten Bereich würde sich, wenn überhaupt, nur langfristig auswirken. Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und die Entwicklung von neuen Technologien wie beispielsweise 5G und dergleichen finden aber bereits heute statt. Die dafür benötigten IKT-Komponenten und Lösungen werden in der Schweiz praktisch gar nicht oder nur in kleinen Mengen, oft mit grossem Aufwand, produziert.
Die engen Verbindungen, die Komplexität und die zunehmenden Abhängigkeiten von wenigen und dominanten Akteuren, Diensten, Technologien und Infrastrukturen führen zu einer enormen Multiplikation kritischer Risiken in der digitalen Gesellschaft. Die Dinge werden in superlinearem Tempo immer komplexer, häufiger miteinander verbunden und voneinander abhängig.
Alles ist miteinander verbunden und wird immer komplexer. Als kleine, offene Volkswirtschaft ist die Schweiz einerseits von ausländischen IKT-Herstellern abhängig. Andererseits bietet diese Situation der Schweiz auch eine Chance: Da führende IKT-Nationen unterschiedliche Interessen verfolgen, kann die Schweiz ihre Rolle geschickt nutzen, um zwischen diesen Interessen zu balancieren und dadurch Vorteile zu erzielen. Sie profitiert davon, ihre Beziehungen zu verschiedenen Ländern mit starken IKT-Industrien so zu gestalten, dass sie deren Technologien und Marktstrategien für sich optimal einsetzt.
Wir können nicht länger isoliert handeln. Wirksame und nachhaltige Massnahmen zum Schutz und zur Bereitstellung von Produkten und Infrastruktur gehen über die Sicherung einzelner Systeme hinaus.
Die Schweizer Wirtschaft wird bei der Digitalisierung weiterhin stark von ausländischen IKT-Herstellern abhängig sein. Daher sollte ein einheitliches Risikomanagement eingerichtet werden, das mögliche staatliche Eingriffe und deren Umsetzung beachtet. Dies muss den Umgang mit Herstellern, Zulieferern und Anbietern von Hard- und Softwarelösungen durchgängig mit einbeziehen.
Wir müssen digitale Infrastrukturen, die «too critical to fail» sind, identifizieren. Weiter müssen wir Strategien entwickeln, um Abhängigkeiten zu minimieren und diese Infrastrukturen zu schützen, Redundanzen aufbauen und die Widerstandsfähigkeit oder Stabilität sowohl der digitalen Infrastruktur als auch der Industrie gegenüber Störungen, Krisen oder Angriffen zu verbessern. Dies sollten wir tun, bevor es zu einer nächsten Krise kommt.
Die Komplexität von Systemen und Infrastrukturen führt zu erhöhter Vulnerabilität, mit zunehmenden Ausfällen, Fehlern, menschlicher Überforderung und Schwierigkeiten bei der Bewältigung eines Ausfallproblems (Flash Crash - en.wikipedia.org/wiki/Flash_crash). Wir müssen einfache, nachvollziehbare und konsistente Architekturen, Entwürfe und Implementierungen bevorzugen, um unnötige Komplexität und Abhängigkeiten zu vermeiden. Es ist nicht möglich, mit solchen Systemen alle Bedingungen vollständig vorherzusagen, zu testen und zu modellieren. Deshalb müssen wir Ausfälle und Kompromisse akzeptieren, sie berücksichtigen und Systeme entwerfen, die sicher und fehlertolerant sind. Das Einzige, was echte Sicherheitsgewinne bringt, ist die Beherrschung der Komplexität (Security, Moore’s law, and the anomaly of cheap complexity, Thomas Dullien - rule11.tech/papers/2018-complexitysecuritysec-dullien.pdf).
Umberto Annino, Microsoft | Daniel Caduff, AWS | Stefan Frei, ETH Zürich | Pascal Lamia, BACS
Endre Bangerter, BFH | Alain Beuchat, Banque Lombard Odier & Cie SA | Matthias Bossardt, KPMG | Adolf Doerig, Doerig & Partner | Roger Halbheer, Microsoft | Katja Dörlemann, Switch | Martin Leuthold, Switch | Hannes Lubich, Verwaltungsrat und Berater | Luka Malis, SIX Digital Exchange | Adrian Perrig, ETH Zürich | Raphael Reischuk, Zühlke Engineering AG | Ruedi Rytz, BACS | Riccardo Sibilia, VBS | Bernhard Tellenbach, armasuisse | Daniel Walther, Swatch Group Services | Andreas Wespi, IBM Research