Swiss Energy Data Space – Interview mit Matthias Galus

Strom kommt aus der Steckdose, klar! Doch was, wenn wir unsere Smartphones oder Elektroautos nicht mehr zu einem beliebigen Zeitpunkt aufladen könnten? Was wenn unser Backofen oder der Kühlschrank auf einmal ausfällt? Diese Risiken drohen bei einer Strommangellage. Im Winter 2022 hätte es unter ungünstigen Umständen dazu kommen können. Um die Strommangellage zu vermeiden oder zu bewältigen, sind verschiedene Massnahmen vorgesehen.[1] Um die Versorgungslage verlässlich einzuschätzen und die Effektivität der einzelnen Massnahmen bewerten zu können, ist die Verfügbarkeit von verlässlichen und hochaktuellen Daten unerlässlich. Das Problem dabei: Diese stehen heute in gewissen Fällen nicht zur Verfügung.

Im Rahmen ihres Schwerpunktthemas Künstliche Intelligenz arbeitet die SATW seit Jahren daran, den Zugang von Forschung, Wirtschaft und weiteren Akteuren zu qualitativ hochstehenden Daten zu verbessern. Dazu hat sie zusammen mit der Swiss Data Alliance SDA, der Direktion für Völkerrecht des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA und dem Bundesamt für Kommunikation BAKOM im Mai 2021 das nationale Netzwerk Digitale Selbstbestimmung gegründet. In Zusammenarbeit mit der SDA und weiteren Organisationen untersuchte die SATW konkrete Anwendungsbereiche mit dem Ziel, wichtige Aspekte und Handlungsbedarfe für eine bessere Nutzung von Personendaten zu identifizieren. Die Resultate dieser Arbeiten wurden in Form eines Factsheets «Daten selbstbestimmt teilen» publiziert.

Energie ist ein bedeutender Anwendungsbereich, in dem Daten eine zentrale Rolle für die Versorgungsicherheit der Schweiz spielen. Im Interview mit Manuel Kugler, SATW Programm-Manager Daten und Künstliche Intelligenz, zeigt Dr. Matthias Galus, Leiter Sektion Geoinformation und Digitale Innovation –Kompetenzzentrum für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz des Bundesamtes für Energie BFE auf, wie die Digitalisierung im Energiebereich vorangetrieben werden kann.

Herr Dr. Galus, aufgrund der Abkehr von fossilen Energieträgern, dem damit einhergehenden Trend hin zu Elektromobilität und dem zunehmenden Einsatz von Wärmepumpen wird es in Zukunft mehr Strom brauchen. Wie können Daten und Digitalisierung einen Beitrag zur Transformation des Energiesystems bei gleichzeitig hoher Versorgungssicherheit leisten?

Wir befinden uns aktuell in einer der grössten Transformationen der neueren Geschichte und es ist unglaublich spannend, diese zu begleiten. Die effiziente Integration erneuerbarer Energien in das bestehende Stromnetz ist von entscheidender Bedeutung. Um Planung, Betrieb oder Abrechnungen sicherzustellen, sind wir auf belastbare Daten angewiesen. Die Beschaffung dieser Daten ist jedoch keine einfache Aufgabe. Ein Beispiel: Es gibt in der Schweiz heute wohl weit über 200'000 Photovoltaik-Anlagen[2] und es werden täglich mehr. Das ist erfreulich. Allerdings fehlen aktuelle, gemessene Produktionswerte – pro Tag oder gar pro Stunde – auf nationaler Ebene. Die Pronovo[3] registriert nur Anlagen, die eine Förderung oder Herkunftsnachweise erhalten haben. Weiter gibt es keine verlässlichen Angaben zu Elektroautos[4] oder Wärmepumpen. Auch Landesverbrauch oder regionale Verbräuche sind mit dieser Granularität und Aktualität nicht verfügbar – insgesamt ein eher trauriges Gesamtbild. Mit dem Energiedashboard[5] konnte das BFE für den Sektor und die Schweiz einen grossen Schritt machen, doch viele Probleme sind noch nicht gelöst. Mit einer besseren Verfügbarkeit an Daten liessen sich die Versorgungslage besser einschätzen, kurzfristigere Prognosen besser ableiten und so schliesslich die Risiken einer Mangellage auch besser quantifizieren.

Wie kann die Verfügbarkeit von solchen Daten verbessert werden?

Grundsätzlich sollte entlang zweier Achsen gearbeitet werden: Verbesserung der Verfügbarkeit und der Zugänglichkeit von Daten. Das BFE setzt sich seit Jahren für die Einführung von digitalen Messgeräten – den Smart Metern – ein, um die Verfügbarkeit von Messdaten zu verbessern. Das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien legt die regulatorischen Grundlagen für einen nationalen Datahub im Stromsektor. Dieser Energy Datahub[6] soll die Datenzugänglichkeit verbessern: Teilnehmende des Strommarktes können über die Plattform Daten austauschen und Verbraucher endlich Zugang zu ihren Daten erhalten. Geplant ist, dass die Plattform bis 2027 allen Akteuren zur Verfügung steht. Wichtig ist auch, Daten anderer Akteure zugänglich zu machen – z. B. von System- oder Wechselrichterherstellern und Dienstleistern.

Inwiefern werden Verbraucherdaten wichtiger? Und wie verlässlich sind die Daten heute?

Digitale und gut aufgelöste Daten zum Verbrauch tragen erheblich dazu bei, Energie zu sparen. Das BFE hat über PERLAS[7] eine kostenlose Möglichkeit für Verbraucher geschaffen, ihre Smart Meter Daten analysieren zu lassen und kostenlos personalisierte Energiespartipps zu erhalten. Das bringt bis zu 6% Einsparungen. Während der angespannten Versorgungslage im Winter 2022 wäre das ein grosser Beitrag gewesen. Leider konnten viele Verbraucher jedoch nicht davon profitieren, da sie nicht in der Lage waren, ihre Daten herunterzuladen. Absurd eigentlich – denn dies wird vom Gesetzgeber schon lange gefordert.

Auch wenn man Stromspar-Kampagnen fahren will, sind aktuelle Verbrauchsdaten in hoher Granularität eminent wichtig. Aufgrund der geringen Datenqualität lassen sich die Wirkungen solcher Kampagnen in nützlicher Frist aktuell nur über Machine Learning Modelle im Energiedashboard quantifizieren. Die hat das BFE eigens dafür entwickelt. Wir müssen also mit Schätzungen arbeiten, bis verlässlichere Daten aus der Branche verfügbar sind.

Was heutzutage geliefert werden kann, sind plausibilisierte Daten auf nationaler Ebene - allerdings mit einem Zeitverzug von zwei bis sechs Monaten. Solche historischen Daten werden genauer, je weiter sie zurückliegen. Jedoch korrigieren Netzbetreiber sie teilweise noch Monate später. Der Wunsch von Bevölkerung und Unternehmen ist natürlich, diese Daten mindestens tagesaktuell zu haben. Hier besteht Verbesserungsbedarf seitens Branche und da sehe ich noch viel Arbeit vor uns.

Was sind Ihre Empfehlungen, um die Digitalisierung des Systems zu verbessern und so besser gerüstet zu sein für die Transformation oder gar für Mangellagen?

Ein erster Schritt besteht darin, eine digitale Messinfrastruktur in den Netzen – Stichwort «Smart Meter» - einzurichten und diese auch «smart» zu betreiben. Es geht nicht an, dass Smart Meter teilweise noch manuell ausgelesen werden. Danach gilt es, traditionelle Datenprozesse zu modernisieren. Hier setzen wir regulatorisch über den Datahub einen grossen Hebel an und wollen bspw. eine national einheitliche API («Application Programming Interface») sicherstellen. Daneben gibt es weitere Potenziale bei Verteilnetzbetreibern. Man kann sich schon fragen, warum eine einfache Datenplausibilisierung in Zeiten von ChatGPT einen Monat dauern soll. 

Weshalb werden solche Entwicklungen noch zu wenig angegangen?

Hemmnisse gibt es vielerlei. Bisher fehlte grundsätzlich der Anreiz oder die Notwendigkeit. Im Energiehandel ist die Digitalisierung ausgeprägt – hier geht es schliesslich um Profite und Boni. Anders gestaltet sich die Situation im geschützten Bereich des Netzes und des Endkundengeschäfts. Die Anforderungen sind mittlerweile gestiegen, die drohende Krise hat als Weckruf gedient. Doch wir liegen zurück und nun stellen sich Fragen zur Finanzierung und zu den verfügbaren Ressourcen. Immerhin kosten IT-Projekte Geld und sind mit Risiken verbunden. Da weder marktwirtschaftlich noch regulatorisch genügend Druck vorhanden war, gab es keinen Anreiz, vorwärts zu machen. Zumindest regulatorisch ändert sich dies zunehmend.

Wie könnte man denn diesen Druck erhöhen oder mehr Anreize schaffen? 

In den letzten Jahren konnten wir besonders durch die Regulatorik im Stromsektor viel bewirken, beispielsweise durch die Smart-Meter-Vorgaben oder das Energiedashboard. Der Datahub ist ein weiterer dringend notwendiger Schritt. Darüber hinaus könnten Transparenzvorgaben oder -instrumente zu Datenverfügbarkeit und Datenqualität sowie die Entwicklung einheitlicher Datenmodelle einen wichtigen Beitrag leisten. Einblicke wie belastbar Daten sind, wie oft Daten nachgebessert oder wie oft Fristen verletzt wurden und ob es Übertragungsfehler gab, bieten Anreiz zur Verbesserung und können viel bewirken. Länder wie Dänemark, Estland oder UK zeigen bereits heute über Geoinformationssystemen, wo Flexibilitätspotenziale vorhanden sind und wie oft diese genutzt werden. Solche Informationen sind für den Markt von grosser Bedeutung. In diesen Ländern haben Regulatoren wichtige Vorgaben an die Unternehmen gemacht, die seit Jahren umgesetzt werden. Im Vergleich dazu haben wir in der Schweiz noch viel aufzuholen.

Inwiefern sind wir als Endverbraucher von diesen Entwicklungen betroffen?

Endverbraucher und ihre Dienstleister stehen im Mittelpunkt der laufenden Transformation. Bisher wurden sie primär als Messpunkte oder Rechnungsempfänger betrachtet – sehr bequem für die Unternehmen. Die Digitalisierung ändert dies grundlegend. Endverbraucher mit Smart Home- oder Energiemanagementsystemen können Daten zu ihrer Energieversorgung nutzen, um sich zu optimieren und aktiver an der Energieversorgung teilzunehmen. Auch ihre Dienstleister – die im Haus bspw. Wärmepumpen oder Elektromobilität steuern – verfügen über wichtige Daten. Diese Daten zugänglich zu machen und für die Optimierung des Systems zu nutzen, wäre äusserst hilfreich.

Das neue Datenschutzgesetz geht mit dem Grundsatz der Datenportabilität einen wichtigen Schritt für Endverbraucher. Die vom BFE unterstützten Arbeiten an einem vertrauenswürdigen Energie-Datenraum[8]  sollen weitere technische und organisatorische Grundlagen, um Verbraucher zu unterstützen. Detaillierte Vorgaben hierzu sind noch nicht absehbar.  Das Stromversorgungsgesetz (StromVG) reguliert bisher Unternehmen der Energiewirtschaft. Viele Dienstleister, die neu im Energiesektor tätig sind, sehen bisher jedoch noch wenige Vorgaben.

Wie schätzen Sie das Risiko von Cyberattacken ein? Wird sich das mit einer solchen Entwicklung nicht drastisch erhöhen?

Natürlich führt eine zunehmende Digitalisierung auch zu einer grösseren Angriffsfläche. Daher gehen Forderungen nach mehr Digitalisierung immer auch mit Betrachtungen von Cyberaspekten einher. Das BFE hat im Rahmen seiner Digitalisierungsarbeiten zunächst Grundlagenstudien zur Maturität im Bereich Cyber durchgeführt. Diese zeigten, dass die Unternehmen der Energiebranche im Durchschnitt nicht besonders gut aufgestellt waren. Entsprechend wurden regulatorische Massnahmen ergriffen: Ab Sommer 2024 werden Mindestanforderungen im Bereich Cybersecurity per Verordnung verpflichtend sein. Ein grosser Erfolg der Digitalisierungsarbeiten des BFE.

Die Umsetzung der Cybersecurity ist komplex und überfordert viele Unternehmen. Es gibt jedoch bereits zahlreiche Werkzeuge, die entlastend wirken können. Mit Künstlicher Intelligenz und selbstlernenden Algorithmen können Angriffe automatisch erkannt werden, was personelle Ressourcen schont. Irritierend ist jedoch, dass dies in der Branche noch wenig bekannt ist.

Wann werden wir so weit sein, dass wir Zugriff auf alle systemrelevanten Daten von Produzenten und Verbrauchern haben und damit das Stromnetz optimal steuern können?

Es ist noch ein weiter Weg, aber wir sind unterwegs. Die Netzbetreiber können ihre Netze nicht unbegrenzt ausbauen, da dies kostspielig ist und irgendwann regionalpolitisch schwer vertretbar sein wird. Um Kosten zu sparen, sind (digitale) Innovationen und Automation unerlässlich. Die Technologien sind oft bereits niederschwellig verfügbar. Der Druck – Dinge anders zu tun – nimmt langsam, aber stetig zu. Ich bin guter Dinge, bin mir aber auch bewusst, dass dies ein langwieriger Prozess sein wird.


[1] Vgl. OSTRAL. OSTRAL ist die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen. Sie untersteht der wirtschaftlichen Landesversorgung des Bundes und wird auf deren Anweisung aktiv, wenn eine Strommangellage eintritt.

[2] Elektrizitätsproduktionsanlagen in der Schweiz (admin.ch)

[3] pronovo.ch

[4]https://www.mobility.ch/de/magazin/nachhaltigkeit/elektroautos-strom-zurueck-ins-netz | https://www.mobility.ch/de/v2x | https://www.mobility.ch/de/magazin/nachhaltigkeit/vorurteile-elektromobilitaet

[5] Energie-Dashboard Bundesamt für Energie (admin.ch)

[6] Digitalisierung im Energiesektor (admin.ch) Kastenbemerkungen Datahub: Darüber soll der Datenaustausch organisiert werden, alle (Verbraucher, Netzbetreiber, etc.) sollen daran angeschlossen werden, Aufbau bis 2027.

[7] PERLAS - PErsonalised Residential Load curve AnalysiS - Willkommen

[8] Förderung vertrauenswürdiger Datenräume und der digitalen Selbstbestimmung (admin.ch)

Zur Person

Dr. Matthias Galus ist Leiter der Sektion Geoinformation und Digitale Innovation beim Bundesamt für Energie (BFE). Unter seiner Leitung bildet sie das Kompetenzzentrum des BFE für Digitalisierung und KI. Im Zentrum der Aktivitäten stehen Energiedaten und damit verbundene Innovation. Die Sektion entwickelt und implementiert Strategien im regulatorischen Bereich und verfolgt Projekte zur digitalen Transformation der Branche. Themen sind u.a. Energiedatenräume, Dateninfrastrukturen, Data Science und Künstliche Intelligenz, Geoinformation, Datenmanagement, Open Government Data und Cloud-Technologien. Matthias Galus ist seit 2012 beim BFE in verschiedenen Funktionen tätig, unter anderem als stellvertretender Leiter Netze. Er ist Experte für intelligente Energiesysteme mit Themen wie Smart Metering und Smart Grids, Flexibilität. Er leitete die Task Force Digitalisierung, die Entwicklung der nationalen Smart-Grid-Roadmap und des nationalen Energie-Dashboards. Er schloss sein Studium der Elektrotechnik und des Wirtschaftsingenieurwesens an der RWTH Aachen 2005 bzw. 2007 ab und promovierte anschließend an der ETH Zürich im Bereich der intelligenten Energiesysteme. Er veröffentlichte eine Vielzahl von Artikeln und Buchkapiteln über digitale Energiesysteme.

Die Umstellung der Energiesysteme auf Klimaneutralität und Versorgungssicherheit stellt die Schweiz vor grosse Herausforderungen. Diese Entwicklungen unterstützt die SATW, indem sie wichtige neue Technologien identifiziert, fundierte Informationen sowie neutrale Erklärungen bereitstellt und das Potenzial innovativer Lösungen beurteilt. In Bezug auf die Umwelt bearbeitet die SATW zudem die bedeutenden Themenbereiche Kreislaufwirtschaft und Biotechnologie.