Autonome Mobilität – Hype oder Gamechanger? Die Meinungen sind geteilt.

Autonome Mobilität 19:00

Im Rahmen des Swiss Green Economy Symposiums organisierte die SATW ein Innovationsforum zum Thema «Autonome Mobilität». Fachleute unterschiedlicher Disziplinen diskutierten intensiv, welche Chancen und Risiken damit verbunden sind.

Im Rahmen des Swiss Green Economy Symposiums organisierte die SATW ein Innovationsforum zum Thema «Autonome Mobilität». Fachleute unterschiedlicher Disziplinen diskutierten intensiv, welche Chancen und Risiken damit verbunden sind.

Am Swiss Green Economy Symposium Anfang September in Winterthur organisierte die SATW als Wissenschaftspartner ein Innovationsforum zur Autonomen Mobilität. Die Leitung oblag Prof. Wolfgang Kröger, Leiter der entsprechenden SATW-Themenplattform. In seiner Einführung machte er klar, dass man vornehmlich die Stufen 4 und 5 besprechen werde. Er wies auf die hohe Komplexität solcher Systeme hin. Obwohl Milliarden in die Entwicklung investiert werden, rechnet er nicht mit einer Marktdurchdringung vor 2040 (Stufe 4) bzw. 2060 (Stufe 5).

Erster Referent war Prof. Bernhard Gerster, Leiter Automobiltechnik bei der Berner Fachhochschule. Rechtlich sei man noch vor Stufe 3, wobei einzelne Pilotprojekte wie das Automated Valet Parking technisch bereits auf Stufe 4 anzusiedeln seien. Bezüglich Zeithorizont sei das Marketing viel zu optimistisch. Probleme sieht er bei der Streckenführung, wenn z.B. Situationen zu komplex sind oder Sensoren (Radar, Lidar, Kamera) diese nicht interpretieren können, etwa in einer verschneiten Landschaft. Die passive Sicherheit wird von Normen getrieben, bei der aktiven Sicherheit hinken diese jedoch hinterher. «Eigentlich müssten wir 750 Mio. Kilometer fahren, um ein System zu testen. Ändern wir eine Zeile Code, sind es wieder 750.». Es brauche also alternative Methoden wie Simulation, um die geforderte Fahrleistung zu reduzieren.

Die Sicht der Regulierungsbehörde schilderte Stefan Huonder, Bereichsleiter Verkehrsregeln beim Bundesamt für Strassen. Heute dürfen Assistenz- und Automatisierungssysteme verwendet werden, der Lenker bleibt aber verantwortlich und muss jederzeit die Kontrolle haben. Reformbedarf bestehe bezüglich Entlastung der Lenker von ihren Pflichten, beim Verzicht auf menschliche Lenker sowie beim Fahren ohne Führerausweis. Es sei fraglich, ob der Zulassungsprozess bei autonomen Fahrzeugen funktioniere. Das heutige System sei auf Einzelkomponenten ausgerichtet, zwingend sei aber das Gesamtsystem zu prüfen. «Das Fahrzeug müsste im Prinzip eine Führerprüfung bestehen.» Womöglich würden Bewilligungen zunächst nur eingeschränkt erteilt, für bestimmte Fahrzeuge und Anwendungsfälle. Auf jeden Fall wird die Schweiz die Zulassungsfrage nicht im Alleingang regeln können. Ein grenzüberschreitender Ansatz zumindest in Europa ist notwendig. Dass Anpassungen bei Strafrecht und Haftpflicht nötig sind, glaubt er nicht. «Das heutige Prinzip der Halterhaftung scheint adäquat, unabhängig davon, wie das Fahrzeug gelenkt wird.»

Masterplan für die Schweiz?

Dr. Jürg Michel von PostAuto schilderte die Erfahrungen mit dem «SmartShuttle» in Sion. Bisher wurden über 50'000 Personen auf öffentlichen Strassen transportiert, allerdings immer mit Sicherheitsfahrer an Bord. «Es ist aufwändig, diese Fahrzeuge zu betreiben», gab er zu bedenken. Den grössten Vorbehalt sieht er aber bei der gesellschaftlichen Akzeptanz. In Bezug auf den Gartner Hype Cycle befinde sich die Technologie aktuell im Tal der Tränen. Trotzdem rechnet er mit ersten kommerziellen Anwendungen in den nächsten zwei Jahren, jedoch nicht hierzulande, sondern in den USA oder China. Für Privatpersonen noch unerschwinglich, werde der Betrieb zunächst durch Mobilitätsanbieter in Flotten erfolgen. Trotzdem warnte er vor dem drohenden Verkehrskollaps, falls man die Regulierung nicht angehe. «Wir müssen heute Standards entwickeln, damit später nicht jene aus China oder dem Silicon Valley hier gelten. Wir brauchen einen Masterplan für die Schweiz.»

Als «Exot» in der Runde bezeichnete sich Bahnvertreter Thomas Küchler, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Schweizerischen Südostbahn AG. Er stellte das Programm «Smartrail 4.0» vor, das von allen Schweizer Bahnen getragen werde und mit Europa harmonisiert sei. Das Bahnsystem war bis ca. 2010 hauptsächlich dezentral und mechanisch gesteuert, heute ist es hochautomatisiert. Massgeblich sei immer noch der statische Fahrplan. Die Bahnhöfe seien heute nur noch Haltestellen ohne betriebliche Steuerungsfunktion. Bei der Bahn bewegt man sich grundsätzlich auf Sicherheitslevel 4, was beim Strassenverkehr noch lange nicht der Fall sei. «Smartrail 4.0» will mit bestehender Infrastruktur ein Wachstum von 15-30 Prozent erreichen sowie jährlich bis zu 500 Mio. Franken Betriebs- und Unterhaltskosten sparen. Ziel sei eine Dynamisierung des Zugverkehrs und die Überwindung starrer Sicherheitsabstände und -regeln bis 2030.

Dr. Fabienne Perret, EBP Schweiz AG, vermutete auch, dass automatisiertes Fahren kommen werde, da nebst Automobilindustrie auch Datenkonzerne das Thema vorantreiben. Doch wird es für Städte zum Fluch oder Segen? Sie präsentierte zu den postulierten Vorteilen die jeweilige Kehrseite: Zwar steige die Effizienz im Personen- und Gütertransport, doch der Mehrverkehr dürfte grösser sein als diese Effizienzsteigerungen. Es ergeben sich interessante Geschäftsmodelle für private Mobilitätsanbieter, doch diese könnten staatlichen Zielen zuwiderlaufen und den ÖV konkurrenzieren. Schliesslich erlauben mehr Daten eine bessere Verkehrssteuerung, schaffen aber Probleme in puncto Datenschutz. «Die Technologie wurde nicht erfunden, um Mobilitäts- und Umweltprobleme zu lösen», gab sie zu bedenken. Sie könne aber dazu genutzt werden. «Es liegt an uns, dies zu ermöglichen.» Dazu bedürfe es u.a. einer Ämter- und Departements-übergreifenden Planung.

Chancen für «Kollektiven Verkehr»

Für die Paneldiskussion gesellten sich Kantonsrätin Judit Bellaiche, Geschäftsführerin Swico, sowie Dr. Andrea del Duce vom Institut für Nachhaltige Entwicklung der ZHAW dazu. Hype oder Gamechanger? «Beides!», so Andrea del Duce. Wenn man sich nicht mehr ums Parkieren kümmern müsse, könne dies für viele Nutzer sehr attraktiv sein. «Ob aber alles, was vom Marketing heute versprochen wird, realisierbar ist, werden wir sehen.» Laut Judit Bellaiche ist der realpolitische Check noch nicht gemacht und die Diskussionen hinken hinterher. Wer soll z.B. die Aufrüstung der Strassen bezahlen? Problematisch sei auch die Datenübertragung, wie die 5G-Diskussion zeige. Schliesslich sei zu klären, wie die Daten gespeichert werden, wo und wozu. «Es herrsche eine wahre Renitenz bei Parlament und Regierung, sich mit solchen Themen zu beschäftigen.» Thomas Küchler plädierte dafür, zuerst zu klären, was man mit der autonomen Mobilität überhaupt erreichen wolle. Fabienne Perret sieht die Zielfindung hingegen als iterativen Prozess: Man müsse testen, um sich schrittweise dem gewünschten Zustand zu nähern. Aus dem Publikum kam das Votum, man habe ökologische Aspekte vernachlässigt. Wolfgang Kröger betonte deshalb die Effizienzsteigerungen und Judith Bellaiche hofft, dass Carpooling-Angebote dank Flottenmanagement attraktiver und Fahrzeuge somit effizienter genutzt werden. Andre del Duce ergänzte, dass der Einsatz automatisierter Fahrzeuge auf der letzten Meile zur Verknüpfung mit Mobilitätshubs den ÖV stärken und die Strassen entlasten könne.

Diskutiert wurde auch die heutige Abgrenzungen Individual-/öffentlicher Verkehr: «Wir sollten uns von der strikten Trennung zwischen ÖV und Individualverkehr lösen und offener werden für hybride und disruptive Geschäftsmodelle», so Judith Bellaiche. Zum Schluss fragte Wolfgang Kröger nach Verantwortung und Beitrag der einzelnen Akteure. Bernhard Gerster ist überzeugt, dass der Staat bezüglich Datenmengen und -sicherheit eine wichtige Rolle spielen muss. Im Bereich Software sieht er gute Chancen für die Schweiz, nicht aber bei der Hardware. «Da sind wir schlicht zu klein.» Jürg Michel glaubt, die Schweiz habe bzgl. ÖV einige Asse im Ärmel wie gute Infrastruktur und vorhandenes Kapital. Laut Thomas Küchler könne die Schweiz wichtige Impulse setzen und Standards entwickeln. «Dazu sollten wir unsere Innovationskraft nutzen. Wir können aufzeigen, wo automatisierter Verkehr sinnvoll ist.» Judith Bellaiche gab sich eher skeptisch, da die Schweiz klein und ihr politisches System komplex ist. Chancen sieht sie aber für Software- und Automobilzulieferindustrie.

Auskunft:

Dr. Claudia Schärer, Leiterin Früherkennung, Tel. +41 44 226 50 20, claudia.schaerer@satw.ch