<p>Welche Kompetenzen benötigen die Jugendlichen in der technischen Bildung, damit sie fähig sind, an der Gesellschaft von morgen teilzuhaben? Die Pädagogische Hochschule FHNW hat dies im Auftrag der SATW untersucht.</p>
Herr Professor Labudde, welche Fähigkeiten werden für die Lebensbewältigung in einer digitalen Welt immer wichtiger?
Unsere Welt hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Denken Sie nur an die Einsatzmöglichkeiten von Smartphones, an moderne Medizintechnik oder an selbstfahrende Autos! Der Übergang zu einer digitalen Welt betrifft nicht nur die Industrie, sondern gerade auch den Alltag. Wir müssen befähigt werden, uns in der zunehmend technisierten Gesellschaft als technikbewusste Bürgerinnen und Bürger zurechtzufinden und an ihr zu partizipieren. Das heisst auch, in ihr verantwortungsvoll zu handeln. Dazu benötigen wir Fähigkeiten, wie sie in technischen Kompetenzrastern formuliert werden: Technik verstehen, konstruieren, nutzen und bewerten, also zum Beispiel Produktionsabläufe überblicken oder die Auswirkungen von Technik auf Alltagssituationen einschätzen können. Andererseits bedarf es konkretes Fachwissen beispielsweise in vernetzter Mechanik, Elektronik sowie Informatik.
Und welche neuen Fähigkeiten müssen die Schülerinnen und Schüler aus der obligatorischen Schule in die Berufsbildung mitbringen?
Ich war überrascht, wie einig sich die befragten Fachleute aus Industrie, Fachdidaktik und Schule waren. Drei Punkte sind mir besonders aufgefallen: Die Fachleute fordern eine deutlich höhere Kompetenz im Bereich «Technik bewerten». Sie raten, Entwicklungs- und Innovationsprinzipien der Technik verstehen oder Sicherheitsaspekte der Automatisierung beachten zu können ‒ und dies anhand von Mensch-Maschine-Interaktionen wie beim Computer oder automatisierten Lebensmittelvertrieb. Zudem empfehlen sie dringend, die sprachlichen und auch fachsprachlichen Kompetenzen in Englisch weiterzuentwickeln.
Kann der Lehrplan 21 mit dem technischen und gesellschaftlichen Wandel überhaupt mithalten? Welche Kompetenzen beinhaltet er im Kontext der digitalen Transformation?
In der Schweiz kennt die obligatorische Schule – anders als in vielen Industrieländern – kein Fach Technik. Die Technik ist bei uns auf verschiedene Fächer verteilt: Technisches Gestalten, Medien und Informatik, Natur und Technik. Überall etwas, aber überall wenig. «Die Schülerinnen und Schüler verstehen Aufbau und Funktionsweise von informationsverarbeitenden Systemen und können Konzepte der sicheren Datenverarbeitung anwenden.» Das ist ja gut und recht, aber Fähigkeiten und Wissen zur Digitalisierung fehlen weitgehend. Der nächste Lehrplan muss die technische Bildung viel stärker einbeziehen.
Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf in der obligatorischen Schule?
Ich wünsche mir technisch orientierte Unterrichtseinheiten vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe II, interdisziplinäres Denken anhand von Inhalten mit klarem technischem Leitmotiv, zudem eine konsequente Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen in Technik. Übrigens, die FHNW setzt hier mit einem vierjährigen Förderprogramm einen Schwerpunkt. Es braucht aber auch technische Primärerfahrungen an ausserschulischen Lernorten, eine Neuausrichtung der Allgemeinbildung zu mehr technischer Bildung sowie die Unterstützung von Schulen und Lehrpersonen, welche sich bereits jetzt für die technische Bildung einsetzen.
Interview: Dr. Béatrice Miller / SATW
Prof. Dr. Peter Labudde war bis 2017 Leiter des Instituts für Naturwissenschafts- und Technikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule FHNW. Er ist zudem Mitglied der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW.
Blog zur SATW Tagung 2017: Welche Kompetenzen benötigt die zukünftige Generation?