Am 11. Mai 2021 war es so weit. Das nationale «Netzwerk Digitale Selbstbestimmung» wurde im Rahmen eines virtuellen Events offiziell lanciert. Die vier Gründungsorganisationen – die Direktion für Völkerrecht des EDA, das Bundesamt für Kommunikation, die Swiss Data Alliance und die SATW – präsentierten den Sinn und Zweck des Netzwerks und stellten einen ersten Kontakt mit der Community her.
Rund 90 Personen folgten der Einladung, die gezielt an diejenige erfolgt war, die bereits im Vorfeld in die Initiative involviert waren. So kam ein guter Mix aus Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft zusammen.
Eingangs präsentierten die Vertreterin und die Vertreter der vier Gründungsorganisationen ihre Motivation, das Netzwerk aufzubauen: Für Roger Dubach, Botschafter und Vize-Direktor der Direktion für Völkerrecht des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Digitalisierung ein strategisch wichtiges Thema, denn der digitale Raum wird immer zentraler für das internationale Zusammenwirken. Thomas Schneider, Botschafter und Vize-Direktor des Bundesamts für Kommunikation, beschäftigt sich bereits seit längerem mit der Gouvernanz des Internets und sieht mit dem Netzwerk eine grosse Chance, das Thema weiterzubringen. Laut Esther Koller, Generalsekretärin a.i., will die SATW insbesondere den Aufbau vertrauenswürdiger Datenräume in unterschiedlichen Sektoren fördern, damit die Gesellschaft das Potenzial von Daten besser nutzen kann. Auch André Golliez, Präsident der Swiss Data Alliance und SATW-Mitglied, möchte, dass in der Schweiz mehr aus Daten gemacht wird – und dabei die digitale Selbstbestimmung stets im Zentrum steht. Das Netzwerk werde dazu beitragen, dass vertrauenswürdige Datenräume in der Schweiz entstehen.
Für Roger Dubach dreht sich aktuell vieles um so genannte Trade-offs – wie im Fall der Corona-Pandemie geht es beispielsweise um das Abwägen zwischen öffentlichem Interesse und der Privatsphäre. Es geht also um die Frage, ob sich das riesige Potenzial von Daten gesellschaftlich und wirtschaftlich so nutzen lässt, ohne dass die persönliche Freiheit zu stark beschnitten oder die Angst vor Missbrauch und Abhängigkeit zu sehr entsteht. Zentral sind also geeignete Rahmenbedingungen, welche die richtigen Anreize und Mehrwerte schaffen.
Die digitale Selbstbestimmung verbindet die individuelle und die kollektive Ebene. Wie werden wir zu aktiven Bürgerinnen und Bürgern und erlangen den Überblick und die Kontrolle über unsere eigenen Daten? Vertrauenswürdige Datenräume sind dafür Grundvoraussetzung, denn es braucht ein grösseres Ganzes, in dem die digitale Selbstbestimmung umgesetzt werden kann. Dieses sollte auf den vier Grundprinzipien des Netzwerks Digitale Selbstbestimmung aufbauen – 1. Vertrauen und Transparenz, 2. Kontrolle und selbstbestimmte Weitergabe, 3. vertrauenswürdige Datenräume sowie 4. Dezentralisation und Bürgernähe.
Die digitale Selbstbestimmung ist in verschiedenen Strategiepapieren der Bundesverwaltung bereits verankert. Nach dem offiziellen Launch des Netzwerks will dieses sich aber nicht in Konzepten verlieren, sondern in die Umsetzungsphase gehen und vertrauenswürdige Datenräume aufbauen. Dazu muss aber zuerst Vertrauen geschaffen und Kompetenzen interdisziplinär aufgebaut werden – denn digitale Selbstbestimmung muss sektorübergreifend realisiert werden.
Laut Thomas Schneider müssen dafür die richtigen Personen zusammenfinden. Dazu dient das Netzwerk, das eine Austauschplattform für Fachleute, aber auch weitere Interessierte sein will, die sich weiterbilden und sich gegenseitig weiterbringen wollen. Es steht grundsätzlich allen offen, die sich mit dessen Ziel identifizieren und mitwirken wollen. Parallel zum nationalen wird auch ein internationales Netzwerk aufgebaut.
Peter Delfosse von Axon Active war von Beginn an in die Aktivitäten rund um den Aufbau des Netzwerks «Digitale Selbstbestimmung» involviert. In seiner Keynote berichtete er über Erfahrungen aus seiner langjährigen Karriere im Bereich Wertschöpfung durch Daten. Ein Beispiel war die Auskunft über die Kreditwürdigkeit von Kunden. Basierend auf vorhandenen Daten konnte er mit 70-prozentiger Sicherheit vorhersagen, welche Unternehmen in der Schweiz in den nächsten Jahren Konkurs gehen und damit zahlungsunfähig würden. Der entscheidende Parameter war dabei, wie oft nach der entsprechenden Information gesucht wurde: Je öfter, desto wahrscheinlicher war es, dass das entsprechende Unternehmen zahlungsunfähig wurde. «Das Bauchgefühl ist ein verdammt kluger Kopf.» Solche Crowd Intelligence wird dank künstlicher Intelligenz vermehrt in Prozesse eingebracht. Software lernt mit Unschärfe umzugehen, Gefühle und Lebenseindrücke lassen sich abbilden. Dabei geht es nicht primär um Technologie, sondern um die benötigten Daten, die zur Verfügung stehen müssen. Erschwerend dazu kommt, dass meist nicht von Anfang an klar ist, welche Daten benötigt werden.
Zusammenfassend hält Peter Delfosse folgende Punkte fest: Der Zugang zu Daten ist die Grundlage digitaler Innnovation. Künstliche Intelligenz beschleunigt diesen globalen Wettbewerb und Echtzeit-Daten sind hierbei zentral. Die Diskussion um Datensparsamkeit führt zu einer Selbstbeschränkung und verhindert eine Basis für Innovationen, die für eine ressourcenarme Schweiz enorm wichtig ist. Die digitale Selbstbestimmung leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Wertediskussion. «Wir benötigen eine Datenkultur auf Augenhöhe mit den globalen Mitwettbewerbern, die wir unter Einbezug aller Akteure erarbeiten müssen. Wir alle sollten zu einem nachhaltigen und wertschöpfenden Datenzugang beitragen.»
Nach der Keynote präsentierten vier Panellistinnen aus verschiedenen Sektoren ihr Interesse und Verständnis der digitalen Selbstbestimmung. Christine Legner, Université de Lausanne, leitet das Competence Center Corporate Data Quality (CC CDQ) und entwickelt mit über 15 Partnern aus Industrie und Forschung Referenzmodelle und Tools für das (Unternehmens-)Datenmanagement. Die zentrale Frage ist, wie man von Datensilos zu geteilten Daten gelangt. Bilaterale Datenbeziehungen sind ineffizient, gefragt ist ein Zusammenspiel neuartiger Services und Plattformen. Einen Datenraum kann man dabei nicht am Reisbrett aufbauen – das braucht Zeit, Experimentierfreudigkeit und die Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren. Die zentralen Herausforderungen sind, einfache vertrauenswürdige Services mit hohem Nutzen zu entwickeln, Datenplattformen entsprechend auszugestalten und dabei Netzwerkeffekte zu nutzen.
Catherine Pugin, Verantwortliche für Digitalisierung im Kanton Waadt, zeigte auf, wie ihr Kanton eine allgemeine Datenpolitik (politique générale de la donnée) aufbauen will, die auf verschiedenen Pfeilern basiert: Ein gerechtes Gleichgewicht zwischen Nutzen und Wert von Daten, Vertrauen in die Digitalisierung, individuelle Kompetenzen sowie Sensibilisierung und Bildung. Der Nutzen der Digitalisierung soll schlussendlich allen zugutekommen. Dies bedingt, dass alle Akteure zusammenwirken. Noch sind viele Fragen offen, aber es laufen bereits verschiedene Projekte – zum Beispiel zur Digitalisierung in der Ausbildung, beginnend bereits im Kindergarten.
Lennig Pedron ist Spezialistin für Cybersicherheit und Spitzentechnologien, Mitgründerin von ICON und Direktorin des Trust Valleys, einem Public-Private-Partnership für Vertrauen in der Öffentlichkeit. Laut ihr besteht ein grosses wirtschaftliches Interesse am Aufbau von Datenökosystemen. Das Trust Valley fördert ein globales digitales Vertrauen und agiert anhand von acht Anwendungsbereiche und acht Technologien. Es laufen bereits zahlreiche Pilotprojekte, viele davon mit explorativem Charakter. Es geht darum, ein offenes Experimentlabor zur Verfügung zu stellen, neue Businessmodelle auszuprobieren und dabei Transparenz sicherzustellen. Eine zunehmende Anzahl Start-ups mit grosser Expertise formieren sich in diesen Bereichen.
Stefanie Auge-Dickhut, Business Engineering Institute St. Gallen, erforscht die Modellierung von Ökosystemen und wie sich diese vernetzen. Sie ist Verantwortliche für das Kompetenzzentrum Smart Citizen, in dem sie neue Lösungen für das Zusammenwirken zwischen Behörden und der Bevölkerung erarbeitet, relevante Akteure identifiziert und der Bevölkerung eine Stimme gibt. Eine zentrale Fragestellung ist, wie innovative Dienstleistungen von morgen gestaltet werden müssen und welche Bedürfnisse die Öffentlichkeit hat. Ihre Trendstudie Smart Citizens zeigt auf, dass sich unser Kaufverhalten durch Google, Amazon und co. stark verändert und – obwohl es wichtiger wird, unsere Daten zu pflegen – wir dafür gar keine Kapazität haben.
Wie die Gouvernanz gestaltet sein soll und wie Daten sicher und vertrauenswürdig gehalten werden, hängt in erster Linie von den Daten selbst ab. Ökosysteme sind sehr unterschiedlich, aber es gibt gewisse Muster. Sie sollten regional beginnend aufgebaut werden und dann wachsen. So lässt sich im Kleinen üben, welche Partner für welches Ökosystem benötigt werden. In der Schweiz gibt es ausgezeichnete Start-ups, die befähigt werden sollten, innovative Pilotprojekte durchzuführen. Dafür braucht es einen Rahmen für die gesamte Entwicklung und die Sicherheit, dass dieser Bestand haben wird.