Die Corona-Krise trifft auch die Automobilbranche hart. Dies ist ein wichtiger Grund, weshalb das autonome Fahren zunehmend in den Hintergrund rutscht. Andreas Burgener, Direktor von Auto Schweiz und Mitglied der SATW-Themenplattform «autonome Mobilität», skizziert den Einfluss der Corona-Krise auf die Mobilität der Zukunft.
«Ich glaube, dass das selbstständige Fahren noch in diesem Jahr Realität wird.» Gefühlt hat man diesen Satz seit 2015 jedes Jahr gehört oder gelesen, doch tatsächlich stammt er von Tesla-Chef Elon Musk, der ihn im Februar 2019 zum Besten gab. Wir wissen: Bislang kann davon keine Rede sein. Musk hatte damals zudem behauptet, dass bis Ende 2020 das Beobachten des Verkehrsgeschehens durch einen Menschen während der Fahrt nicht mehr nötig sei: «Ich bin mir sehr sicher. Es gibt keine Fragezeichen». Mittlerweile ist klar, dass Musks Prognosen nur ein weiterer tollkühner PR-Gag des unsteten Entrepreneurs war. Zwischenzeitlich wurde Tesla in Deutschland sogar untersagt, den Begriff «Autopilot» für die Bezeichnung der Fahrassistenzsysteme zu verwenden – der Begriff «Autopilot» sei «irreführend», so das Landgericht München in seinem Urteil. Ob Musk die Coronakrise als Ausrede für das Nichterfüllen seiner Prognose heranziehen wird, ist unklar. Fakt aber ist, dass das Thema des autonomen Fahrens angesichts der Covid-19-Pandemie massiv in den Hintergrund rückt und damit aus der öffentlichen Wahrnehmung weitestgehend verschwand. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: In der Covid-19-Pandemie hat die gesamte Automobilbranche andere Probleme zu bewältigen, als den Zukunftstraum vom autonomen Fahren voranzutreiben. Zwar läuft die technische Entwicklung im Hintergrund weiter. Doch zunächst mussten sich viele Unternehmen aus der Automobil- und deren Zulieferbranche, klein wie gross, kurzfristig neu organisieren und in den Krisenmodus schalten. Die Vereinigung der Europäischen Automobilhersteller ACEA hat ausgerechnet, dass während des Lockdowns im Frühling 2020 fast jeder zweite Arbeitsplatz bei Automobilherstellern von einer temporären Arbeitsniederlegung betroffen war, das sind immerhin 1,1 Millionen Arbeitsplätze. Darüber hinaus mussten im Laufe des Jahres viele Produzenten und Zulieferer dauerhafte Werksstilllegungen und Stellenabbau beschliessen, um die Kosten dem neuen Umsatzvolumen anzupassen. Die Zahl der neu zugelassenen Personenwagen in Europa wird 2020 rund einen Viertel tiefer liegen als im Vorjahr – auch in der Schweiz und Liechtenstein. Durch die im Herbst erneut rasch gestiegenen Zahlen an Neuinfektionen mit Covid-19 und wegen den in den Staaten ergriffenen Massnahmen befürchten viele Branchenkenner, dass die tatsächliche Flut an Firmenpleiten im Automobilsektor erst noch bevorsteht. Mit solch schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und unsichereren Aussichten ist klar, dass sich die Hersteller erst einmal auf die Bewältigung der Krise und das Tagesgeschäft konzentrieren müssen, statt die Vision des autonomen Fahrens weiter voranzutreiben.
Ein zweiter Grund, weshalb es zu zusätzlichen Verzögerungen bei den Roboterautos kommen wird, ist die notwendige Reduktion des Treibhausgases CO2. Durch die Verwerfungen der Krise könnten nun auch grosse Automobilhersteller die seit Anfang 2020 gesenkten Zielwerte für Personen- und Lieferwagen in der EU verfehlen – milliardenschwere Bussgelder wären die Folge. Laut Volkswagen-Chef Herbert Diess sei man nach zehn Monaten «nur ein Gramm oder so» über dem Zielwert, doch dieses eine Gramm könnte den Konzern bereits einen dreistelligen Millionenbetrag kosten. Es werde «sehr eng, die Flottenziele zu erreichen», so Diess. Durch die Werksschliessungen im Frühjahr fehle es jetzt an den entsprechenden Stückzahlen (teil-)elektrischer Modelle, die den CO2-Durchschnitt massiv senken würden. Nicht ohne Grund sind diverse Fahrzeughersteller in der EU auf der Suche nach Pooling-Optionen, um ihre Flotte so zusammenzulegen, dass hohe Sanktionen doch noch vermieden werden können. Mit einem solchen Damokles-Schwert über dem Kopf rückt das Wegfallen des Lenkrads im Auto der Zukunft noch weiter in den Hintergrund.
Die Prognosen zur Marktfähigkeit von Level-5-Fahrzeugen, die autonom von A nach B fahren, sind zwischenzeitlich zwar etwas realistischer als noch bei Musk vor zwei Jahren. Neulich stellte BMW hat den iX vor, ihr vollelektrisches Flaggschiff. Lange wurde gemutmasst, wie hoch der Automatisierungsgrad des Modells beim Markteintritt sein werde. Frank Weber, BMW-Entwicklungsvorstand, kommentiert die Einführung in einem Interview mit dem deutschen «Handelsblatt»: «Bei uns geht Sicherheit und Kundenfunktion immer Hand in Hand. Deswegen werden wir die Verantwortung nicht vorschnell vom Fahrer auf den Computer übertragen.» Heute führen Menschen am Stück 700 Millionen Kilometer unfallfrei. Das sei bei der Entwicklung die Referenzgröße, so Weber weiter. Und dazu fehlen heute noch ein paar Schritte. Thorsten Gollewski, Leiter der Entwicklung des autonomen Fahrens bei ZF und Chef der ZF-Tochter Zukunft Ventures, präzisiert: Autos seien nicht die Art von Fahrzeugen, bei denen das Fahren ohne Fahrer zuerst markttauglich werden würde: «Bei PKWs sehen wir das autonome Fahren sehr kritisch», sagte Gollewski zum Auftakt der diesjährigen virtuellen Halbleitermesse Electronica. «Wegen der hohen Kosten wird es dafür nur einen sehr begrenzten Markt geben, weil das niemand bezahlen kann.» Ganz anders sehe die Lage bei Lieferwagen aus. Bei diesen werde sich die Technik zuerst durchsetzen: «Nutzfahrzeuge sind die grossen Gewinner beim Rennen um das autonome Fahren. In der Corona-Krise sehen wir einen starken Anstieg des Lieferverkehrs. Hier entsteht eine Lücke, die nur durch autonomes Fahren geschlossen werden kann». Vielleicht liegt hierin der Grund dafür, warum Elon Musk schon laut über einen Tesla-Lieferwagen nachgedacht hat.
Andreas Burgener ist seit 2003 Direktor von auto-schweiz, der Vereinigung Schweizer Automobil-Importeure. Auto-schweiz vertritt über 4500 Markenhändler in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein und vertreibt Personenwagen und Nutzfahrzeuge, Busse sowie Cars im Wert von über 10 Milliarden Franken im Jahr.
Der gelernte Lastwagenmechaniker bildete sich weiter zum Automobilingenieur und in Betriebswirtschaft mit einem EMBA von der Universität St. Gallen. Er arbeitete im Spezialtiefbau, im Verkauf von Tunnelbohrgeräten und im Test- und Prüfzentrum Dynamic Test Center in Vauffelin, wo er heute als Vizepräsident des Verwaltungsrates amtet. Darüber hinaus ist er Mitglied der Themenplattform «Autonome Mobilität» der SATW, zudem ist er Stiftungsratsmitglied bei der Stiftung Autorecycling Schweiz und der Stiftung Cerebral.